von Helmut Braun
Totentanz
Die Darstellung des Todes tritt in vielfältigen Ausdrucksformen in Kunst, Literatur und Musik auf. Am intensivsten und vielleicht am häufigsten in Verbindung mit dem Tanz. Eindringlich ist dabei die Gegenüberstellung der wohl lebendigsten Metapher menschlichen Lebens, des Tanzes, mit der starren Stille des Todes. Die Annäherung des Tanzes an den Tod lässt sich seinen rituellen Ursprüngen zuschreiben: Einem alten Volksglauben nach stiegen die Toten um Mitternacht aus ihren Gräbern und tanzten um sie herum.
Die Genese des Totentanzes lässt sich also – ich folge hier Reiner Sörries, Tanz der Toten – weder aus der Kunst des heilsamen Lebens (ars vivendi), noch aus der Kunst des heilsamen Sterbens (ars moriendi) herleiten; diese mehr literarischen Ausdrucksformen gehen wie die bildlichen Darstellungen des Totentanzes auf die im Volksglauben vorherrschenden Vorstellungen von den lebenden Toten zurück. So entstanden zunächst monumentale Totentänze im Bereich von Friedhöfen, an den Mauern, an den Wänden von Friedhofskirchen. Die Vorstellung der lebenden Toten schlug sich auch in grafischen Werken nieder – so zum Beispiel am bekanntesten wohl in dem Holzschnitt „Tanz der Gerippe“ von Michael Wohlgemut, der 1493 entstand.

Totentanz-Motiv im Schaffen Georg Bernhards
Das Motiv des „Totentanzes“ lässt sich bereits ab dem Jahr 2000 ausmachen – in Form von kleinen Rohrfederzeichnungen tauchen Themen wie „Tier und Mädchen“ und „Tod und Mädchen“ auf. Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Tod war schon immer etwas, was Georg Bernhard tief im Inneren beschäftigt hat. Sieht man sich die Serie von etwa 80 Tuschezeichnungen unter dem Titel „Schattenspiele“ aus den Jahren 1986 und 1987 an, so nimmt man ein unheilvolles Gegenüber der tänzelnden, sich in erotischen Posen gebenden Frauenfiguren in Form von Tieren oder abstrakt-amorphen dunklen Flächen wahr. Im Kontext persönlicher Erfahrungen schlagen sich Themen wie Übergang, Abschied und die unendlich sprachlos machende Macht des Todes in grafischen Serien wie „Das Schifflein“ (1995) oder „Das Gilgamesch Epos“ (1996) nieder. Die in seinem Zyklus „Moto Proprio“ von 1992/93 künstlerische Formfindung, nämlich den Figuren „unter die Haut zu gehen“, das skeletthafte Gerüst mit sich Bewegung suggerierenden überschneidenden Linien zu betonen, wird von nun an immer feiner entwickelt.
Die in die Moritzkirche eingestellten Bilder sind aus der Reihe der Totentanzmotive ab 2006 bis heute entstanden – eine Auswahl aus unzähligen Blättern in unterschiedlichsten Formaten. Es ist kein durchgängig thematischer Zyklus, so wie man ihn aus den mittelalterlichen Totentänzen kennt, vielmehr sind es Variationen des Todes in Gegenüberstellung mit nicht näher gekennzeichneten Menschen. Allenfalls Themen wie Tod und Mädchen, Tod und Kind, Tod und Bischof sind erkennbar. Der Tod tritt als Gerippe auf, selten mit einem Attribut, einmal mit Sense, zweimal mit Stundenuhr.
Georg Bernhard ist ein Meister der Linie mit feinstem künstlerischen Gespür. Sein Totentanz ist nie plakativ. Er ist berührend, manchmal zärtlich, sogar tröstend. Beinahe lädt der Tod ein, sich mit ihm anzufreunden. Georg Bernhards Bild von den letzten Dingen ist von hoher Anmutung und tiefem Mitgefühl.
In allen Blättern kommt zwar die gnadenlose Haltung des Todes, seine beinharten Finger, sein perfides anbiederndes Spiel zum Ausdruck: Und dennoch mag man in den Bewegungen der Gerippe eine Sanftheit, eine zärtliche, manchmal erotische Annäherung erkennen, die einer Aufforderung zum Tanze gleicht. Und mitunter scheint er sich auch liebenswürdig zu nähern. Was bleibt einem auch übrig, als der Aufforderung nachzukommen, erste Tanzschritte mit dem Tod zu lernen, mit ihm das Abschiednehmen einzuüben, in der vergeblichen Hoffnung, beim gemeinsamen Tanz noch einmal – und wenn auch nur für kurze Augenblicke – die Führung zu übernehmen.

Das Mobile
Titus Bernhard hat in Zusammenarbeit mit Udo Rutschmann versucht, das Motiv des leichten, federnden Tanzes auch in der Präsentation der Bilder darzustellen. Vielleicht auch hier, um den Tod seinen Schrecken zu nehmen. Die Blätter selbst tanzen, bewegen sich leicht im Luftraum der Moritzkirche und man selbst bleibt nicht stehen, sondern versucht die Rückseiten der Blätter zu sehen, ihrem Tanz zu folgen und den Raum um sie zu erkunden. So suggeriert das Mobile in gewisser Weise ein „Perpetuum Mobile“ – einen ewig andauernden Tanz.

Die Videoinstallation
Stefanie Sixt hat die Bilder aufgenommen, invertiert, umgedreht, die schwarzbraunen Linien erscheinen nun in hellem Weiß auf schwarzem Grund. Die Linien beginnen aufzuscheinen. Die Umrisse der Figuren und die Gebeine der Gerippe leuchten und beginnen an Intensität zu gewinnen. Man nimmt wahr, dass die Figuren sich bewegen, sich wiegen im Rhythmus einer nicht hörbaren Melodie. Diese Art der Präsentation ist der Versuch, den in den Blättern ablesbaren Durchdringungen des Lebens mit dem Tod auf eine ganz zeitgemäße Art und Weise räumlich zum Ausdruck zu bringen.
So ist die Präsentation des Totentanzes von Georg Bernhard in der Moritzkirche ein Experiment der Kongruenz von Form und Inhalt – Und der Tod tanzt fort und fort …